01. Dezember 2025
Ohne Innovationen können Unternehmen und die Orte, an denen sie wirtschaften, nicht wachsen. Aber wie lassen sich Innovationen anstossen – und welche Rollen spielen dabei Infrastruktur und Lebensqualität?
Um ihre Position als Global Innovation Leader zu verteidigen, benötigt die Schweiz als «wichtigste Ressourcen» «Offenheit für Kapital und Arbeitskräfte (…) sowie eine in vielen Bereichen liberale und effiziente Regulierung und Verwaltung, welche Innovationen und die damit einhergehenden Veränderungen nicht übermässig behindern.» Auch die Lage- und Umfeldanalyse «Schweiz 2035», aus der dieser Satz stammt, mündet in die berühmten Rufe nach mehr Bildung und Forschung und dafür weniger Regulierung und Kosten. Gleichzeitig wird mit dem Wort «Verwaltung» jedoch ein Ort angesprochen, der Innovation in irgendeiner Weise stützen oder zumindest «nicht behindern» sollte. In der Tat braucht Innovation Sicherheit – und damit einen Ort, an dem sie in Ruhe vorbereitet, erprobt und umgesetzt werden kann.
Umso erstaunlicher, dass es eine klare Aufgabenteilung zu geben scheint. Die Unternehmen sollen neue Innovationen entwickeln. Der Staat soll die Unternehmen dabei mit attraktiven Rahmenbedingungen unterstützen. Oft tut er dies in Form von Förderinstrumenten, die detailliert regeln, was unter welchen Umständen förderwürdig ist. Dabei scheinen die eigentlich kreativen Akteure, die Mitarbeitenden, in den Hintergrund zu verschwinden. Der geschützte Raum in den Gemeinden und im Kanton sollte aber sowohl für die Unternehmen als auch die Mitarbeitenden geschaffen werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass statt weitem Innovationsland nur wenige, oft vom Staat initiierte Leuchtturmprojekte blühen.
Innovation ist eine Frage der Umgebung
Wie Unternehmen brauchen Orte die richtige Kultur, um erfolgreich zu sein und die Menschen wieder auf Ideen oder Erfindungen zu bringen. Ein Ort, der diese Anforderungen erfüllt, ist der Kanton Glarus. Glarus war in der Vergangenheit eine Macht in der Textilindustrie. Hier wurde 1890 Coop gegründet. Heute bauen im Kanton Firmen wie Läderach neue Produktionsstandorte und um den Flugplatz Mollis siedeln sich immer mehr Aviatik-Unternehmen an. Und hier steht, in Bilten, Europas modernste PET-Recyclinganlage. Dass Glarus ein attraktiver Wirtschaftsstandort ist, zeigt das vergleichsweise hohe BIP pro Kopf. Glarus liegt trotz alpiner Lage im Schweizer Mittelfeld.
Demgegenüber war in den letzten Jahrzehnten kaum ein anderer Kanton so stark vom Strukturwandel betroffen wie Glarus. Anstatt in eine Schockstarre zu verfallen, hat sich Glarus neu erfunden und schweizweit die wohl tiefgreifendsten strukturellen Reformen umgesetzt. Kern dieser Neuausrichtung war eine umfassende Gemeindestrukturreform, die die Verwaltung schlanker, professioneller und effektiver machte und noch machen wird. So wird die digitale Transformation sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Verwaltung vorangetrieben. Durch die Effizienzsteigerung ist es dem Kanton möglich, attraktive Rahmenbedingungen anzubieten: eine sehr tiefe Steuerbelastung für Unternehmen und tiefe Lebenshaltungskosten für die Bevölkerung – also auch die innovativen Fachkräfte, auf die die Firmen so stark angewiesen sind. Mit dem Stimmrechtsalter 16 ist es der Jugend und jungen Erwachsenen einzig im Kanton Glarus möglich, am Diskurs teilzunehmen und sich früh politisch zu engagieren. Auch das begünstigt Innovationen, denn wer Mitsprache hat, kommt auf Ideen und will diese für sich und seine Umgebung umsetzen.
Auch Ideen brauchen eine Herkunft
Die Innovationsstätten von gestern können die Innovationsstätten von heute und morgen sein, da Innovation ohne das Wissen von gestern nicht funktionieren kann. Entsprechend des August-Bebel-Zitats «Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten» hat der Fraunhofer-Verbund Innovationsforschung für eine Zukunftsvision 2030 auf die Historie der industriellen Innovation hingewiesen, um aktuelle Fragen aus den Bereichen «Strategie», «Mitarbeiter» und «Organisation» beantworten zu können. Aber nicht nur das Wissen, auch die ehemaligen Hallen von zwischenzeitlich verschwundenen Industriepionieren können zur Quelle neuer Innovation werden. Im Kanton Glarus sind es insbesondere die Produktionsstätten der Textilindustrie, denen durch innovative Projekte neues Leben eingehaucht werden kann. Glarus bietet ausreichend Platz, günstige Energie, Automatisierung und Digitalisierung sowie die Nähe zu Zürich. So bringt Glarus beispielsweise alles mit, um zum Rechencenter der Schweiz zu werden und könnte mit preiswerter Rechenkapazität eine Kerninfrastruktur für die künftige Datenverarbeitung bereitstellen. Und wo Daten sind, ist in der Zeit von KI Innovation nicht weit. Zumindest verfügt das Glarnerland mit seinen Stauseen und Flusskraftwerken, insbesondere dem Pumpspeicherwerk Linth-Limmern, bereits über beachtliche Produktionskapazitäten aus grüner Energie.
Was die Schweiz einzigartig macht, ist das duale Bildungssystem, mit dem einer breiten Bevölkerung qualitativ erstklassig, wenn auch nicht akademisch, Wissen vermittelt wird. Entscheidend für den künftigen Erfolg der Schweiz wird sein, dass die Menschen sich schnell an die sich stetig und immer schneller verändernde Welt anpassen können. Auch hier zeigt ein Blick nach Glarus, wie es gehen kann. Der Kanton hat ein zweistufiges System gewählt: Mit dem Instrument des Kredits zur Förderung der digitalen Transformation werden die Unternehmen in der digitalen Transformation und Realisierung innovativer Produkte und Dienstleistungen von den Expertinnen und Experten des Innovationsnetzwerks Ostschweiz (INOS) unterstützt. Mit der Lernplattform smartbleiben.ch und dem Projekt Arbeit 4.0 wird sichergestellt, dass die breite Bevölkerung und insbesondere von der digitalen Transformation betroffene Personen Zugang zu Bildungsangeboten für Grundkompetenzen sowie Aus- und Weiterbildung haben. So wird das Wissen der ausgezeichnet ausgebildeten Fachkräfte um digitale Kompetenzen ergänzt und damit die Voraussetzung für die Weiterentwicklung der bisherigen Wirtschaft, unserer Herkunft, geschaffen. Das Projekt MINTGL vermittelt jungen Glarnerinnen und Glarnern zudem die Faszination der MINT-Fächer, etwa in Robotik, Programmieren, Maschinenbau, Statik oder Virtual Reality. So wird auch die langfristige Verfügbarkeit von Fachkräften proaktiv unterstützt.
Dezentralität als Chance
Wer weiter blickt, erkennt, dass eine weitere Stärke der Schweiz in ihrer Dezentralität liegt. Eine Fahrt von der Gemeinde Glarus Nord ins Stadtzentrum von Zürich dauert, ob mit Bahn oder Auto, rund 45 Minuten. Während in Zürich die Dichte hoch und die Flächen vergleichsweise teuer und knapp sind wird in Glarus Nord gebaut: bezahlbarer und moderner Wohnraum. Die Krankenkassenprämien sind ca. 10 Prozent günstiger als in Zürich. Beide Aspekte tragen massgeblich zu günstigen Lebenshaltungskosten und damit mehr verfügbarem Einkommen der Einwohnenden bei. Durch die Dynamik im Wohnungsbau ist damit zu rechnen, dass mehr Fachkräfte in den Wirtschaftsraum ziehen, wovon sowohl Zentrum als auch Agglomeration profitieren. Die bewusste Entscheidung, wo man leben und arbeiten möchte, beeinflusst das Zusammenleben positiv, erhält gewachsene Strukturen und erfindet neue. Andreas Binkert, Partner bei Nüesch Development, wirbt schon länger für eine geringere Fixierung auf die Grossstädte und ein neues Selbstbewusstsein kleinerer Orte. Angesichts der Megatrends «Demografischer Wandel, Gesundheit, Future of Work, Klimakrise», so Binkert im Immo!nvest-Magazin, könne die «Verhäuselung der Schweiz» nicht weitergehen. «Wir werden in Zukunft zusammenrücken, Platz für Andere schaffen, effizienter und suffizienter leben.» Der Präsident der 2000-Watt Smart Cities Association sieht Glarus Nord als «wirtschaftliches Rückgrat des Kantons – mit seiner Lage, seiner Infrastruktur und seiner Nähe zum Wirtschaftsraum Zürich». Glarus Süd hingegen punkte «mit Natur, Freizeitwert und Lebensqualität».
Als kleine Schweiz innerhalb der Schweiz muss jeder Kanton Antworten auf Innovationsfragen finden. Die Sicherheit, die innovative Unternehmen und Menschen brauchen, spiegelt sich dabei selbstverständlich auch in der Politik und schliesslich in den Verwaltungsstrukturen. So ziehen Innovationen und Verbesserungen weitere und weite Kreise. Das Leben eines Global Innovation Leaders beginnt in Local Innovation Hubs. Mit einem Fokus auf Breitenwirkung statt auf Leuchtturmprojekten gelingt es dem Kanton Glarus, unterstützt von gezielten Förderinstrumenten, Bildungsoffensiven und einer vorbildlich modernen Verwaltung, die Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung gleichermassen zu einem innovations- und damit lebensfreundlichen Ökosystem zu verbinden. Möglicherweise liegt darin der Schlüssel für die zukünftige Innovationskraft der Schweiz. Braucht die Schweiz mehr Glarus?
Steckbrief Kanton Glarus
Still, aber visionär: Glarus denkt weit und handelt mutig. Mit seiner Industriekompetenz, Innovationskraft und einer nachhaltigen Standortentwicklung steht der Kanton für Hightech, Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung – und hat eine eindeutige Haltung: Wandel gestalten statt verwalten – mit Klarheit, Kooperation und Pioniergeist. Mehr Informationen unter www.gl.ch/wirtschaft
Quelle: Sonderheft «Innovation» des Magazins Finanz & Wirtschaft, Augsabe November 2025